In Stolipinovo, dem größten Roma-Viertel Bulgariens mit 50.000 Einwohnern, am Stadtrand von Plovdiv mit insgesamt 385.000 Einwohnern, herrscht eine bedrückende Hitze von 35 Grad Celsius. Die schwüle Luft ist durchzogen von einem unangenehmen Geruch, der eine Mischung aus verwestem Fleisch und Fäkalien zu sein scheint. Die Szenerie vor den grauen, heruntergekommenen Plattenbau-Hochhäusern wird von meterhohem Müll dominiert. Hier und da durchwühlen zwei Kinder den Unrat in der Hoffnung, etwas Essbares zu finden.
Die beiden Kinder sind auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten inmitten der lebensfeindlichen Umgebung. Wir befinden uns in Stolipinovo, dem größten Roma-Ghetto Bulgariens, einem Ort, dessen Name sogar in Deutschland bekannt ist. In den letzten Jahren haben Tausende von Familien von hier aus Busse Richtung Berlin oder Ruhrgebiet bestiegen, auf der Suche nach einem besseren Leben, unterstützt durch Kindergeld und Sozialleistungen.
Der Kontakt zu Mehmet (36) ist unerlässlich, um sich sicher in diesem Slum bewegen zu können, denn selbst die Polizei traut sich kaum in dieses Viertel. Mehmet beschreibt die Lage mit den Worten: “Willkommen in der Hölle! Wer hier aufgewachsen ist, will nur noch weg! Am besten nach Deutschland. Für euch ist es gefährlich hier. Viele Drogenhändler und Kriminelle.”
Die Familie Angelovi, neben einem Müllberg lebend, hat sich aus Brettern und Wellblech eine improvisierte Hütte errichtet. Kein fließendes Wasser, keine Toilette. Zwei Räume von gerade einmal 25 Quadratmetern, ausgestattet mit schmutzigen Matratzen auf dem Boden. Eine provisorische Feuerstelle dient als Kochstelle. In dieser beengten Unterkunft leben Mutter Silvia, ihr Mann und acht Kinder. Silvia, schwanger im sechsten Monat, berichtet, dass sie nur 35 Leva (17 Euro) pro Kind erhält und sie deshalb nicht mehr als eine Handvoll weißer Bohnen kochen kann.
Die Familie Angelovi ist ein Spiegelbild vieler, die in Stolipinovo ums Überleben kämpfen. Die Familien hoffen auf eine Zukunft in Deutschland, wo sie arbeiten und Kindergeld erhalten können. Die Aussicht auf 250 Euro Kindergeld pro Kind, verbunden mit möglichen Sozialleistungen und Wohngeld, weckt Begehrlichkeiten. Mehmet erklärt, dass die finanzielle Unterstützung, die sie in Deutschland erhalten könnten, in Stolipinovo einem Vermögen gleichkommt. Allein für die Kinder der Familie Angelovi wären das 2250 Euro.
Allerdings hat sich um diese Notlage eine kriminelle Schleuser-Industrie gebildet. Früher füllte ein Kiosk alle notwendigen Dokumente in deutscher Sprache aus. Doch nun agieren im Verborgenen Hintermänner, die ihre Identität nicht preisgeben wollen. Sie organisieren die Ausreise und erhalten einen Teil des Kindergeldes als Prämie zurück.
Die Situation hat jedoch auch negative Auswirkungen auf das Ansehen der Roma-Gemeinschaft. Viele Bulgaren, die ehrlich arbeiten wollen, sehen sich durch den Kindergeld-Tourismus in ihrer Reputation beeinträchtigt. Die Integration mit der Roma-Bevölkerung sei gescheitert, sagen einige. Dies führt dazu, dass Bulgaren, die in Deutschland arbeiten, in einen Topf mit den Kindergeld-Antragstellern geworfen werden.
Die Menschen in Stolipinovo sind verzweifelt, und viele suchen nach Möglichkeiten, ihr Leben zu verbessern – sei es durch Schwarzarbeit, Prostitution oder andere fragwürdige Mittel. Dennoch bleibt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Deutschland, wo die Kinder eine Chance auf ein besseres Leben haben könnten.